Sage und Geschichte.
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275. Dominikus Dietrich von Stratzburg.
Im Jahre 1660 starb der regierende Ammeister, d. h. der Oberbürger-
meister, der damaligen deutschen freien Reichsstadt Straßburg. Zu seinem
Amtsnachfolger erwählten die Bürger einmütig Dominikus Dietrich, einen
echt deutschen Mann von altem Schrot und Korn und dazu einen treuen,
gläubigen evangelischen Christen. Er war 1620 geboren und hatte also
erst als achtundzmanzigjähriger Mann aus eigener Anschauung kennen ge-
lernt, wie ein Land im Frieden aussieht. Und als nach dreißig Jahre
langem Blutvergießen, Rauben, Plündern, Brennen und Morden im Jahre
1648 auch in Straßburg sich die Klänge des Paul Gerhardschen Liedes zum
Himmel aufschwangen: „Gottlob, nun ist erschollen das edle Fried- und
Freudenwort," da hatte er zwar mit seinen Mitbürgern darüber gejubelt, daß
seine geliebte Vaterstadt sich aus den Verhandlungen des westfälischen Friedens
noch glücklich als freie und protestantische deutsche Reichsstadt herausgerettet
hatte; er hatte aber auch mit ihnen gebangt und gezagt bei der Frage,
wie lange es der Stadt gelingen werde, sich diese kostbaren Güter zu be-
wahren. Jetzt, als er 40 Jahre alt war, wälzte das Vertrauen seiner
Mitbürger, das ihn zum Oberhaupte der Stadt wählte, die schwere Last auf
seine Schultern, das schwache Schifflein durch die tosenden Wellen unge-
fährdet hindurchzusteuern.
Straßburg gehörte als freie, unabhängige Stadt zum heiligen römischen
Reiche deutscher Nation. Ja, das mochte ihr Ehre und Ansehen schaffen,
Schutz und Rückhalt gewährte ihr diese Stellung nicht. Denn was war
das deutsche Reich so, wie es aus dem dreißigjährigen Kriege hervorgegangen
war, anders als ein lose zusammengeworfener Haufen einzelner Länder
und Länderchen ohne Einheit und Zusammenhalt? Trotz seines Hauptes, das
den stolzen Titel Kaiser führte, außer dem leeren Namen aber so gut wie
nichts mehr vom Kaisertum besaß, war es ein kraftloser Körper, der keins
seiner Glieder gegen Angriffe von außen her zu verteidigen vermochte.
Und wie sehr hätte gerade Straßburg eines kräftigen Schutzes bedurft!
War doch diese Stadt, weil im westfälischen Frieden das ganze schöne Elsaß
mit Ausnahme der darin liegenden Bistümer und freien Reichsstädte schmäh-
licherweise an Frankreich abgetreten war, rings umgeben von dieser fremden
Macht; und saß doch in Frankreich gerade damals ein König auf dem Throne,
der mit seinem berüchtigten Grundsätze „Der Staat bin ich" nur zwei Ziele
seines Strebcns kannte: im eigenen Lande unumschränkte Alleinherrschaft
über Hab und Gut, über Leib und Leben, ja selbst über die Gewissen seiner
Unterthanen, nach außen Machtentfaltung und Ausdehnung seiner Reichs-
grenzen. Ludwig Xiv, so hieß dieser König, vor dem Europa zitterte,
wenn er zürnte, schien da, wo bei anderen Menschen das Gewissen seine
Stelle hat, nur teuflische Klugheit, Hinterlist und Tücke zu besitzen. Da war
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Extrahierte Personennamen: Dominikus_Dietrich_von_Stratzburg Dominikus_Dietrich Ludwig_Xiv Ludwig
Extrahierte Ortsnamen: Straßburg Frankreich Frankreich Europa
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Iv. Bilder aus der Erdkunde,
denn freilich nicht zu erwarten, daß er aus Achtung vor Recht und Ver-
trägen dauernd auf den Besitz der herrlichen freien Reichsstadt verzichten werde.
Im Sommer des Jahres 1681 sammelte er in verschiedenen Teilen
des Elsaß zahlreiche Kriegsvölker, die in aller Stille einen immer enger
geschlossenen Kreis um die Reichsstadt bildeten. Mitten im Frieden über-
rumpelte dann plötzlich der französische Oberst Baron Asfeld die schwach be-
setzte straßburgische Zollschanze am Rhein. Die kleine Besatzung vermochte
natürlich keinen erfolgreichen Widerstand zu leisten und mußte sich nach
tapferer Gegenwehr ergeben. Das war die Schreckenskunde, mit der am
frühen Morgen des 28. September, eines Sonntages, Dominikus Dietrich
geweckt wurde; und noch ehe die Kirchenglocken die Gemeinde zum Gottes-
dienst luden, rief die große Sturmglocke vom Münster herab die waffenfähigen
Bürger auf die Wälle. Hier rüstete man alles zur Verteidigung, derweil
dort im Münster Tausende von Andächtigen das Lied anstimmten: „Aus
tiefer Not schrei' ich zu dir." Sie thaten's mit der bangen Frage im Herzen,
ob's auch vielleicht der letzte evangelische Gottesdienst sein möchte, der im
ehrwürdigen Münster gefeiert würde.
Der Ammeister hatte sofort nach dem Eintreffen der unerhörten
Kunde einen Unterhändler in das französische Lager gesandt und von dem
Obersten Asfeld Aufklärung über den Gewaltstreich gefordert, hatte aber nur
die Antwort bekommen, er habe auf Befehl des Kriegsministers Louvois
gehandelt. Dieser werde am folgenden Tage selber in der Zollschanze er-
scheinen und erwarte dann die Vertreter der Stadt, um mit ihnen zu ver-
handeln. Nunmehr berief Dietrich den Magistrat zusammen und fand alle
Ratsherrn in Übereinstimmung mit der ganzen Bürgerschaft entschlossen, die
Stadt gegen den ruchlosen Angriff zu verteidigen, wenn nur einige Aussicht
aus Hilfe von außen vorhanden wäre. Eilboten sprengten aus, die dem
Kaiser und dem Reichstag die Bitte um schleunige Hilfe bringen, und andere,
die den straßburgischen Ämtern hin und her im Elsaß den Befehl über-
mitteln sollten, alle streitbaren Kräfte unverzüglich in die Stadt hineinzu-
werfen. Allein als am andern Tage Dominikus Dietrich sich selbst an der
Spitze einer städtischen Abordnung zum Minister Louvois ins französische
Lager begab, da mußte er sich davon überzeugen, daß der feindliche eiserne
Ring um Straßburg schon so fest geschlossen war, daß auf Entsatz keine
Hoffnung mehr blieb. Von Verhandlungen war kaum die Rede. Die
Straßburger Abgeordneten hatten von Louvois einfach die Erklärung ent-
gegenzunehmen, daß die Stadt sich bis zum nächsten Tage frühmorgens zu
entscheiden habe, ob sie ihre Thore öffnen oder sich in einep Aschenhaufen
verwandeln lassen wolle. Bei der gänzlichen Aussichtslosigkeit der Gegen-
wehr blieb der armen Stadt keine andere Wahl als die Übergabe.
Drei prunkvolle aber für sie überaus schmerzliche Einzüge in ihre
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Sage und Geschichte.
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Stadt mußten nun im Laufe weniger Wochen die Straßburger Bürger mit
ansehen: Am 30. September 1681 zog mit klingendem Spiel das franzö-
sische Heer durch die geöffneten Thore ein; und in dumpfer Betäubung und
stummer Niedergeschlagenheit schaute das Volk dem Einmarsch zu. Am 20.
Oktober zog der Bischof Franz Egon von Fürstenberg unter Pauken- und
Trommelschall in seine neue Residenz ein und weihte tags darauf das
wiedergewonnene Münster, in dem am 28. September zum letzten Male
lutherischer Gottesdienst gehalten war, zum Gebrauch für den katholischen
Gottesdienst ein. Mit tiefem Schmerz sah die treue protestantische Gemeinde zu,
wie ihr das herrliche Gotteshaus entrissen ward, um den fünf katholischen
Familien — denn mehr gab es damals in Straßburg nicht — zum Ge-
brauch überwiesen zu werden. Am 23. Oktober endlich hielt der König
Ludwig Xiv selber mit der ganzen königlichen Familie, glänzendem Gefolge
und großem Gepränge seinen Einzug in die Stadt; und mit Abscheu mußten
die Straßburger es mit ansehen und anhören, wie der Bischof ihn mit
seinem ganzen stolzen Klerus am Portal des Münsters empfing, ihn segnete und
sich nicht entblödete, ihn mit den Worten zu begrüßen: „Herr, nun lässest du
deinen Diener in Frieden fahren; denn meine Augen haben deinen Heiland
gesehen." Den Evangelischen wurde an Stelle des herrlichen Münsters die
alte Dominikanerkirche zum Gebrauche eingeräumt, die seit hundert Jahren
nicht mehr als Gotteshaus benutzt worden war sondern als Speicher gedient
hatte. Es standen sogar Mühlen darin, die mit Pferden getrieben wurden,
so daß der Fußboden schuhhoch mit Kot und Unrat bedeckt war.
Ludwigs Xiv brennender Wunsch war nun, daß in Straßburg, da-
mit es eine gefügige französische Stadt würde, das katholische Bekenntnis zur
allgemeinen Herrschaft gelange; und damit das rasch von statten gehe,
mußte der von allen seinen Mitbürgern so hoch verehrte Ammeister ein
zur Nachahmung hinreißendes Beispiel geben. Weil aber Dominikus Dietrich
jede Zumutung, seinen Glauben zu verleugnen, standhaft ablehnte, so sollte
er dazu gezwungen werden. Und das wurde so eingeleitet: Im Februar
1685 erhielt er einen Kabinettsbefehl aus Paris, bei Hofe zu Versailles zu
erscheinen, weil sich der König persönlich mit ihm über wichtige Angelegen-
heiten der Stadt besprechen wolle. Mit tief bekümmertem Herzen trat der
sechsundsechzigjährige Ammeister die Reise nach Paris und Versailles an,
deren eigentlicher Zweck ihm deutlich genug bewußt war.
In sehr zuvorkommender Weise wurde er von den Ministern empfangen;
aber die Höflichkeit der Behandlung ließ merklich nach, als Dominikus
Dietrich allen Andeutungen gegenüber, daß sein Übertritt zur römischen Kirche
dem Könige erwünscht sein würde, völlig taub blieb. Wochenlang mußte er
täglich in seiner Amtstracht bet Hofe erscheinen. Aber weder erhielt er die
in Aussicht gestellte Audienz beim Könige noch eine Aufklärung über den
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Dietrich
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